Weinschnurren – Teil 3

Schlürfen, Rülpsen, Spucken

– auf Neudeutsch: Degustation! Sicher, Weine zu prüfen und zu bewerten bedarf eines bestimmten regulierten Vorgehens. Der Mund, die Zunge sind mit Papillarien – (Geschmacksnerven) ausgestattet, die nach einem bestimmten System bestimmte Reize erkennen. Sehr einfach nachzuvollziehen: Probieren Sie ein kleines Stück Essiggurke und versuchen Sie zu erkennen, wo sie in Ihrem Mund den Essigeschmack erkennen. Dann ein bisschen Pfeffer – nur ganz wenig -, und sie werden erkennen, dass Sie den Pfeffer an einer anderen Stelle Ihres Mundes als Pfeffer erkennen.

Das heißt, Sie lernen zu erkennen, wo Sie den Pfeffer in ihrem Mund spüren. Wenn Sie eine kleine Menge eines anderen, z. b. frisch gemahlenen, Pfeffer kosten, spüren Sie Unterschiede. Wenn Sie nun ihre Papillarien trainieren, können Sie an bestimmten Stellen Ihres Mundes (Gaumen, Zunge) Unterschiede wahrnehmen – und vergleichen. Sie können dann vielleicht schon Grüne Veltliner unterscheiden und sogar die Sorte nach eingehendem Training definieren. Dieses Gurgeln – Schlürfen bewirkt, dass zusätzlich Luft in die Mundhöhle gelangt, die den Wein in kleine Tropfen – ähnlich einem Nebel – teilt und so noch deutlichere Unterschiede erkennbar werden. Das Ausspucken ist im Grunde eine Unsitte, aber wie sollte man sonst mehrere Weine probieren ohne berauscht vom Stuhl zu fallen?!
Das Spucken hat aber einen Nachteil: Der Rachen bestimmt den Abgang. Das Gefühl, das sei ein gutes Glas Wein gewesen, dessen Geschmack noch länger angenehm spürbar bleibt, fehlt. Die Fachverkoster des Systems der „Mundhöhle ohne Abgang“ bewerten den Träger des Geschmacks, den Alkohol, deshalb hoch, und so finden Sie bei den großen Bewertungen fast immer nur Weine mit hohem Alkoholanteil ab 13,5 bis 14,5 Prozent und mehr, die ausgezeichnet werden. Die Trink- und Genussfreude bleibt auf der Strecke!

Wer spuckt am weitesten?

Jetzt zur Überschrift: Bei Fachverkostungen mit Önologen herrscht konzentrationsbedingt absolute Ruhe, das Schlürfen/Schnalzen wird fast verschämt durchgeführt. Bei Kompetenzverkostungen ist das anders: je kleiner das Blatt umso deutlicher wird die Kompetenz der Fachjournalisten gezeigt. Es wird geschlürft, gerülpst, gespuckt, dass einem normalen Menschen das Weintrinken sehr schnell verleidet wird. Die Bühne der echten Kenner – das sind nun einmal die Weinpräsentationen! Die unbedarften Laien erfreuen sich an einem guten Schluck, dann zeigt der Fachmann wie es geht: Die Luft wird eingesogen, bis die Deckenlampe zittert und es bis ins letzte Eck hörbar ist, ein Rülpser, dass es kracht! Klar, der Fachmann ist angefüllt wie ein Luftballon! Und dann das gekonnte Spucken mit etwas Distanz ins Häferl oder in einen besonderen Napf, den man wie einen Orden mit sich trägt…
Nach dieser Demo unter Beobachtung der Wirkung auf die armen Unbedarften, die Weine genießen, wird noch kommentiert: „… erinnert an Fenchel und Melisse mit zarten Strohblumen-Aromaten…“ Das zieht! Aber zumeist wird es nach dieser Demo noch unterhaltsamer: Ein zweiter Fachjournalist, z. b. einer des ?Haarbacher Boten“, muss nun einmal seinem Kollegen zeigen, was echtes Können ist – und das Ganze von vorhin wird durch Lautstärke größerem Rülpsen und weiterem Spucken übertroffen (es gibt diese Spucknäpfe auch mit Goldrand). Und dann der Kommentar: „Der typische Tennisplatzton!“ (Das ist kein Witz sondern ein gerne gebrauchter und geschriebener Terminus – der Hunger dieser Fachleute muss manchmal zu besonderen Genüssen führen, denn wer kostet sonst schon den Tennisplatz?). Es folgt der Papayaton, gemischt anderen exotischen Früchten, und je seltener diese sind umso besser.
Wenn Sie unter diesen Aspekten eine Degustation besuchen, ist ein unterhaltsamer Abend gesichert. Und wenn Sie sich erkühnen, den Weltmeister des Schlürfens als erkennbarer Laie/Dilletant anzusprechen, haben Sie auf Stunden eine außergewöhnliche Unterhaltung. Sie lernen eine neue Welt kennen, die Sie, der nur gerne ein gutes Glas Wein trinkt, lange nicht mehr vergessen werden. Sie können sich auch als kompetent outen: Lesen Sie vorher Weinbeschreibungen in den einschlägigen Magazinen, z. b. „typischer Geruch nach nassem Hundefell“ die Sie dann in den Raum stellen! Dies wird sicher zu einer breiten interessanten Diskussion führen – Pudel oder Schäfer?!
Sepp Baldrian